Der Hexenstein by Manfred Böckl

Der Hexenstein by Manfred Böckl

Autor:Manfred Böckl [Böckl, Manfred]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-01-23T05:00:00+00:00


9 DIE SCHWARZE SALBE

Mai 1702

Gleich einer gezackten und grau verschorften Wunde zog sich der grob geschichtete Steinwall über den Berg. Schon einmal hatte Afra Dickh hier Zuflucht gefunden: im Frühling vor drei Jahren, als Maria Kölbl sie während des Gewitters in das Versteck hinter der vorspringenden Schroffe gebracht hatte. Jetzt kauerten die beiden Frauen wieder in der moosgepolsterten und von starken Quadern überwölbten Muldung. Heute freilich war der Himmel draußen nachtdunkel; verschleiert trieb der Mond hinter schattenhaften Wolkenfetzen.

Durch den Spalt des Schlupfes deutete die Schlitzäugige auf das Gestirn, dessen rechter Rand wie angefressen wirkte. »Deswegen haben wir noch drei Tage warten müssen«, erklärte sie. »Weil das schwarze Gebräu nur dann gedeiht, wenn der Vollmond am Schwinden ist. Aber ich bin inzwischen nicht faul gewesen; hab' alles schon heraufgebracht, was wir brauchen. Und was nicht im Haus war, hab' ich mittlerweile auf meinen heimlichen Plätzen gesucht …«

Unwillkürlich fröstelte Afra; erkundigte sich atemlos: »Du hast die … Sachen sogar bei dir daheim? In deiner Kammer?«

»Dort sucht kein Mensch danach«, nickte Maria. »Ebensowenig wie hier in meinem anderen Versteck. Am besten ist's, man tut das, was nicht alle mitbekommen müssen, einmal hier und einmal da. Und heut' nacht, weil du dabei bist, machen wir's hier …«

Die Schwarzhaarige schluckte; fühlte sich zwischen Furcht und Faszination hin und her gerissen. Dann aber siegte ihre Lust auf das Geheimnisvolle. Gespannt beobachtete sie, wie die Kölblin im Schein des leise prasselnden Reisigfeuers mit ihrem verbotenen Tun begann. Sie schob den kleinen gußeisernen Kessel in die Flammen, griff nach einer Kruke und erklärte dabei: »Zuerst brauchst du das Mittel, das all die anderen Bestandteile miteinander verbindet: Most, wie du ihn in jedem Keller findest …« Sie füllte den metallenen Topf aus dem Tonkrug; fast augenblicklich breitete sich ein süßlicher, betäubender Duft aus, den Afra allerdings auch in winterlichen Bauernstuben bereits gerochen hatte.

Wenig später freilich, als die Flüssigkeit brodelte, erschrak sie um so mehr. Denn jetzt brachte die Schlitzäugige einen zusammengefalteten ledernen Lappen zum Vorschein; als sie ihn auseinanderschlug, sah die jüngere Frau eine braunschwarze, gelb durchsprenkelte Masse, von der ein strenger, ausgesprochen abstoßender Geruch ausging. »Gestocktes Fledermausblut, mit Rinderfett und Ruß verknetet«, murmelte die Kölblin und ließ die Substanz in den Kessel fallen. Als sie den ruckenden Kehlkopf der Freundin sah, setzte sie schnell hinzu: »Roh vergiftet's dich, gekocht hat's wundersame Wirkung!«

Sie wartete, bis der Sud aufschäumte, rückte den Topf dann ein wenig aus der Glut. Zwinkerte Afra dabei beruhigend zu und nahm nun einen Leinenbeutel zur Hand, aus dem es beim Öffnen kaum hörbar knisterte. »Bilsenkraut, Eisenhut, Tollkirsche, Stechapfel und Schierling, alles mit Pappellaub gut vermischt«, raunte sie. »Ein Teil getrocknet, ein Teil ganz frisch gebrochen. Sechs von den Sieben. Nimm's und bewahre es noch, bis ich die Mandragora darübergeschabt habe …«

Wieder schwankte die Schwarzhaarige zwischen Beklommenheit und Neugierde. Mit angehaltenem Atem fühlte sie, wie die streng riechende Kräutermischung auf ihre Haut rieselte: sich in der Schale ihrer Hände häufte. Ein feines, brennendes Prickeln schien durch ihre Poren zu dringen; schien sich noch zu verstärken, als die



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